Besuch in der Geschichtswerkstatt
14. November 2022
Informationen über die „Hakenglockendiskussion“, die ab November 2017 in der Gemeinde Faßberg und darüber hinaus geführt wurde, wollte die VVN-BdA Celle Ende Oktober aus 1. Hand erhalten. Die Mitglieder Doris Artelt und Hans-Dietrich Springhorn, die nur im November 2019 Mitbegründer der kleinen Geschichtswerkstatt Gemeinde Faßberg waren, hatten die Debatte über die Kirchenglocke mit ihrem Hakenkreuz angeregt. Der gesamte Ort Faßberg wurde in den 30-er Jahren im Faschismus erbaut. Dazu gehörte auch die Michaelkirche, in deren Dach eine Stahlglocke mit dem Luftwaffenadler samt Hakenkreuz befand.
Von der Geschichtswerkstatt waren neben der Sprecherin Angelika Cremer weitere Mitglieder bei der kleinen zweistündigen Informationsveranstaltung vor Ort dabei. Die Kirche selbst und auch die inzwischen abgehängte Hakenkreuzglocke konnten wegen Bauarbeiten nicht besichtigt werden. Es war aber bei herrlichem Sonnenschein möglich von außen und an Hand der im November 2021 durch die Geschichtswerkstatt aufgestellten Informationstafel, einen visuellen Eindruck zu vermitteln.
Funktion des Fliegerhorst
Nach dem Rundgang gab es einen regen Austausch über die Geschichte des Fliegerhorstes Faßberg und auch über die aktuelle Funktion und Bedeutung dieses großen technisch-militärischen Bundeswehrstandortes. Natürlich war interessant, wie die Auseinandersetzung um die Hakenkreuzglocke ab November 2017 entstanden ist, wie sie sich entwickelt hat und welche Ziele die Geschichtswerkstatt Gemeinde Faßberg verfolgt. Beachtenswert war die Tatsache, dass die ursprüngliche Gruppe der sogenannten Glockengegner nur aus zehn Personen bestanden hatte.
David gegen Goliath
Diese kleine Gruppe – David gegen Goliath – hat es geschafft, gegen den Widerstand fast der gesamten politischen und kirchlichen Gemeinde, die Hakenkreuzglocke abzuhängen. Hintergrund und Ursache dafür war von Anfang an die Bereitschaft der Gruppe – unabhängig vom örtlichen Kräfteverhältnis – öffentlich und Medial das Thema „Hakenkreuz geht gar nicht – die Glocke muss runter“ weit über die Grenzen der Gemeinde hinaus zu tragen. Auch die evangelische Landeskirche Hannover wurde in die Auseinandersetzung einbezogen. Trotz intensiven Drucks auf die einzelnen und teilweise unerfahrenen Gruppemitglieder, blieb der Kern bei seiner richtigen Strategie und konnte sich durch die Aufmerksamkeit und Unterstützung von außen schließlich durchsetzen.
Respekt für Aktive
Die aus dieser Auseinandersetzung hervorgegangene Geschichtswerkstatt Gemeinde Faßberg wird in der Kommune Respekt gezollt und sie hat darüber hinaus im Kulturraum Oberes Örtzetal eine große Reputation. Das von der Geschichtswerkstatt initiierte Projekt „Orte und Wege der Erinnerung im Oberen Örtzetal“ wird von allen Nachbarkommunen getragen und unterstützt.
Der Abschluss der gelungenen kleinen Informationsveranstaltung fand privat, mit Kaffee und Kuchen und weiteren lebhaften Diskussionen bei Doris und Hans-Dietrich statt. HD
Info-Flyer
FASSBERG
Faßberg gab es vor 1933 nicht, nur Heide und Sand. Mit der Machtübertragung durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg an Adolf Hitler am 30.1.1933 begann die Remilitarisierung des Deutschen Reiches. Der Vertrag von Versailles wurde zuerst umgangen und dann gebrochen.
In Munster und Bergen-Hohne wurde für das Heer ausgebaut. Waffen und Munition kamen aus Unterlüß, von der Firma Rheinmetall-Borsig. Auch Faßberg wurde für die Kriegsvorbereitung gebaut. Im Ort entstand Infrastruktur für die neue Luftwaffe. Es entstanden Siedlungen für Militärangehörige und Zivilisten. Arbeiter und Handwerksfirmen kamen aus der Region und dem ganzen Reich. Für die umliegenden Dörfer ein „Wirtschaftswunder“. Ab Kriegsbeginn am 1.9.1939 folgten Zwangsarbeiter aus vielen Teilen Europas.
MICHAELKIRCHE
1937/38 entstand im Auftrag des NS-Staates eine Garnisonkirche, als Simultankirche. Diese Kirche sollte sowohl den evangelischen als auch den katholischen Christen als Gotteshaus dienen und sie einbinden. Der Baustil und die in der Kirche abgebildeten Evangelisten, die Kanzel sowie andere Sinnbilder in der Kirche entsprachen in der Gestaltung dem nationalsozialistischen Zeitgeist. Das Dienstsiegel der Luftwaffe – der Luftwaffenadler mit ausgebreiteten Schwingen und einem Hakenkreuz in einem Fang – war am Grundstein und an der Glocke deutlich erkennbar.
Eingeweiht wurde die Kirche am 18.12.1938. Nach dem Sieg der Alliierten und dem Einmarsch der Briten in Faßberg am 16.4.1945 wurde am Grundstein das Hakenkreuz entfernt.
Weitere Veränderungen gab es nicht. 1947 entstand eine eigene Ev.-luth. Kirchengemeinde und die Kirche erhielt den Namen Michaelkirche.
ALTE GLOCKE
Der Guss der Glocke wurde durch die Luftwaffe in Auftrag gegeben. Am Korpus befindet sich bis heute der Luftwaffenadler mit dem Hakenkreuz. Bis 2017 gab es keinerlei kritische Diskussionen über die Gestaltung dieser Kirchen und ihrer Glocken. Dies änderte sich, als im Frühsommer in Herxheim am Berg (Pfalz) die Existenz einer Hakenkreuzglocke öffentlich wurde. Im Spätsommer desselben Jahres wurde öffentlich bekannt, dass auch in Schweringen (Weser) und in Faßberg Glocken mit einem Hakenkreuz zum Gottesdienst riefen.
HAKENKREUZ UND GOTTESDIENST
Kann so eine Glocke zum Gottesdienst, Gebet und Andacht rufen? Glocken rufen seit spätantiker Zeit als Teil des liturgischen Gottesdienstes Christen zu Andacht und Gebet. Mit dem Hakenkreuz verbinden sich Schicksale, Gewalt, Krieg und Tod. Das Hakenkreuz als Symbol dieser brutalen, totalitären NS-Ideologie und eines mörderischen Systems steht demnach konträr zu einem Kerngedanken des Neuen Testaments – der Nächstenliebe.
DISKUSSION
In Schweringen wurde 2017 die Glocke außer Betrieb genommen. In Faßberg ruhte sie, weil der Turm zu diesem Zeitpunkt saniert wurde. Der Kirchenvorstand (KV) dieser Kirche kündigte an, die Glocke nach der Sanierung am Buß- und Bettag 2017 wieder in Betrieb nehmen zu wollen. Es entwickelte sich Widerspruch.
Eine kleine Gruppe Bürger protestierte öffentlich, hatte aber zunächst keinen Erfolg. Die Glocke wurde dennoch als erste und einzige der bundesweit betroffenen Glocken wieder in Betrieb genommen. Durch mediale Berichte über diese Situation gab es starke emotionale Auseinandersetzungen in der Gemeinde und in der Hannoverschen Landeskirche. Im Ergebnis führte dies zu einem neuen Beschluss des KV am 20.2.2018: Die Glocke wird ersetzt, bleibt aber bis zum Einbau einer neuen in Betrieb. Mit dieser Entscheidung waren die „Glockengegner“ nicht einverstanden, sie forderten weiterhin: Die alte Glocke muss sofort schweigen! Es bildete sich eine Gruppe von „Glockenbefürwortern“, die 1600 Unterschriften für den Verbleib der alten Glocke sammelten. Der Streit ging öffentlich weiter.
NEUE GLOCKE
In der Folge wurde die Hakenkreuzglocke, wie vom KV beschlossen, durch eine neue Glocke ersetzt. Diese wurde mit Mitteln der Landeskirche gegossen. Am 29.9.2019, dem Michaelstag, wurde sie feierlich geweiht und in Betrieb genommen.
SITUATION IN DER GEMEINDE HEUTE
Durch die breite und intensive Diskussion über die Glocke wurde im November 2019 die Geschichtswerkstatt Gemeinde Faßberg gegründet. Vorläufer war ein kirchlicher Gesprächskreis. Die Geschichtswerkstatt organisiert heute Gesprächstreffen und Veranstaltungen. Es entwickelt sich in der Gemeinde eine neue Aufarbeitungs- und Erinnerungskultur. Bürgerinnen und Bürger, sowie Kirche und Gemeindeverwaltung, sind eingebunden. Zurzeit läuft eine Umbauplanung der Michaelkirche, in der die Hakenkreuzglocke im Rahmen eines Dokumentations- und Lernortes einen besonderen Platz erhalten soll.